Im Mai vor zehn Jahren stand der SV Allensbach vor dem Aufstieg in die 1. Bundesliga
Die beste Saison in der Vereinsgeschichte der Handballerinnen war ein Aufstiegsmärchen ohne Happy End. 1000 Fans kamen zum Hinspiel der Relegation gegen Borussia Dortmund in die Riesenberghalle.
Frauenhandball: Die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte der Allensbacher Handballerinnen, sie endet im Mai 2008 mit zwei Niederlagen und einem Spiel bei unglaublicher Atmosphäre. Zwei Pleiten zum Abschluss sind zu jener Zeit nichts Besonderes beim SVA, der oft bis zur letzten Sekunde des finalen Spiels um den Klassenerhalt der damals zweitklassigen 2. Bundesliga zittern muss. Vor zehn Jahren jedoch ist das Team aus dem tiefen Süden nicht die graue Maus aus dem hinteren Tabellenmittelfeld, sondern der bundesweit beachtete Vizemeister seiner Staffel.
Der darf damals in einer Relegation um den Aufstieg in die Bundesliga mitspielen. In der ersten Runde schalten die Allensbacherinnen den Dritten aus dem Norden, den SV Union Halle-Neustadt, aus. Nach einer 23:25-Niederlage in Sachsen-Anhalt gewinnt der SVA vor 800 Zuschauern in der heimischen Riesenberghalle mit 27:23 und zieht ins Finale gegen den großen Favoriten Borussia Dortmund ein. „Schon da hat man gesehen, was uns die ganze Saison ausgezeichnet hat“, sagt der heutige Teamchef und damalige Trainer Oliver Lebherz: „Wir haben alle Spiele am Ende umgebogen, auch knappe oder schlechte Partien, wie in Halle, wo wir 50 Minuten lang vorgeführt wurden. Das war der Erfolgsfaktor: Die Mannschaft wusste, wir sind in der Schlussphase immer in der Lage, das Spiel zu gestalten.“
Bereits Monate zuvor fällt in der ersten Begegnung der Saison der Startschuss für ein historisches Sportjahr. „Wir hatten das erste Spiel in Zwickau und haben den ersten Allensbacher Sieg dort überhaupt geschafft. Dann war es wie ein Selbstläufer, der uns durch die Runde getragen hat“, erinnert sich Lebherz, dessen Mannschaft durch die Saison schwebt – und wenn es einmal nicht nach Wunsch läuft, dann können sie sich auf Kämpfernaturen verlassen wie Babsi Harter, Lena Landenberger, Laura Denk, Petra Lauterbach oder Dagmar Gekeler. „Das war ein eingeschworener Haufen, jede hat für die andere die Drecksarbeit gemacht“, sagt Lebherz. Zwei Tage lang sind die Allensbacherinnen gar Tabellenführer der 2. Bundesliga Süd. Das hatte es zuvor noch nie gegeben.
So kommt es zum gänzlich unerwarteten Aufstiegsmärchen für den kleinen Verein vom Bodensee. Nun ja, nicht für alle war das Szenario unvorstellbar, wie Lebherz schmunzelnd zu Protokoll gibt. „Im ersten Gespräch vor meiner Verpflichtung habe ich zwei Jahre zuvor mit den Verantwortlichen über Gott und die Welt gesprochen“, erinnert sich der damalige Trainer. „Als ich in die Runde gefragt habe: Würdet ihr auch mit mir in die Erste Liga gehen, haben die gedacht, der ist durchgedreht. Darüber haben wir dann in den Play-offs immer wieder gefrotzelt“, sagt der heute 50-Jährige und lacht.
Trotz der selbstbewussten Vision des Trainers kommt in Allensbach ganz selten Druck auf im Frühjahr 2008. „Wir sind ganz unbedarft in die Aufstiegsrunde gegangen“, sagt Lebherz. So sichern Kämpferherz und Sieger-Gen dem SVA den Sprung ins Finale gegen den großen Namen Borussia Dortmund – bis dann der Kopf ins Spiel kommt und Nervosität die Unbekümmertheit verdrängt. „Irgendwann kam tatsächlich die Frage auf: Was passiert, wenn wir wirklich aufsteigen?“, sagt Oliver Lebherz. „Wir sind ganz locker in alle Spiele gegangen, denn wir hatten schon mehr erreicht als erwartet.“ Mit einer Ausnahme: das Heimspiel gegen den BVB.
„Das war schlichtweg eine Sensation für Allensbach. Wir hatten 1000 Zuschauer in der Halle. Die Feuerwehr hat die Parkplätze eingewiesen, und die ersten Fans waren mittags um 12 Uhr schon da“, sagt Manfred Lüttin, vor zehn Jahren Allensbacher Manager und heute Ehrenvorstand des für die erste Mannschaft zuständigen Handball Sportmanagement Allensbach. Die Verantwortlichen spielen sogar mit dem Gedanken, in die größere Konstanzer Schänzlehalle auszuweichen. Sie verzichten aber auf den einen oder anderen Euro und empfangen Dortmund in gewohnter Umgebung am Riesenberg – auch der eigenen Zuschauer zuliebe.
Vor der Rekordkulisse in der brechend vollen Halle erwischen die Allensbacherinnen einen rabenschwarzen Tag – und nach der 18:28-Niederlage sind die Aufstiegsträume geplatzt. „Für Dortmund war es fast schon Pflicht, dass sie aufsteigen. Sie sind einen Tag vorher angereist und haben im Schwarzwald übernachtet. Die waren zu dem Zeitpunkt schon professionell besetzt und hatten ganz tolle internationale Spielerinnen“, blickt Manfred Lüttin zurück. Die Allensbacherinnen ärgern sich weniger über das Ergebnis als über die Art und Weise, wie es zustande kommt. „Ich bin mir sicher, wenn wir im Heimspiel gegen Dortmund nicht so viel Respekt gehabt hätten und nervös gewesen wären, wäre das anderes ausgegangen“, sagt Lebherz.
Ohne den psychologischen Ballast zeigt der SV Allensbach zum Abschluss in der Sporthalle im Dortmunder Stadtteil Wellinghofen nochmals einen starken Auftritt. Vor 1700 Zuschauern, darunter die Führungsriege der Fußballer mit Präsident Reinhard Rauball und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sowie etliche Ultras, die für Gänsehaut-Atmosphäre auf den Rängen sorgen. Zur Pause führen die Gäste sogar mit 14:13, doch „am Ende haben uns die Kräfte verlassen“, so Lebherz über das 23:27.
In der Nacht fahren Mannschaft und Fans im Doppeldeckerbus zurück an den Bodensee. Gemeinsam lassen sie dabei die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte Revue passieren, die zwar mit zwei Niederlagen endet, dem SV Allensbach aber das 20. Jahr als damals dienstältestem Verein der zweigeteilten 2. Bundesliga sichert. Ein Sportjahr, das, so Oliver Lebherz, „für alle ein herausragendes Erlebnis war“.